BÜRGERDIALOG EUROPA in der Stadthalle in Rottweil
EU-Kommissar Günther Oettinger: Andere sind besser als wir. Wir sind auch nur
Mittelfeld. Wir sind Hoffenheim und schauen auf den HSV hinunter!
Der minutenlange Beifall in der Stadthalle in Rottweil zeigte wie auch die große Aufmerksamkeit während seiner Rede: EU-Kommissar Günther Oettinger hat beim „Bürgerdialog Europa“ restlos begeistert.
In der gemeinsam durchgeführten Veranstaltung der CDU Baden-Württemberg, Südbaden und Rottweil – exakt in der Zeit, wo in Berlin und Brüssel um die Euro-Rettung gerungen wird, verstand es der frühere Ministerpräsident, klar, anschaulich, mit immer wieder eingestreuten Bonmots, die für viele nicht mehr recht überschaubare Thematik auf den Punkt zu bringen. Deutlich zu machen, worauf es ankommt.
Kurzfristig, so berichtete der CDU-Landesvorsitzende Thomas Strobl zu Beginn der Veranstaltung, als Günther Oettinger sich noch durch den Stau auf der A 81 kämpfte, war er eingesprungen für Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und hatte dafür auf ein Abendessen mit Industrievertretern verzichtet. Kein anderes Thema als die Euro- und Schuldenkrise beschäftige die Bürger so sehr, sagte er, und die Bürger fragten, wie es weitergehe mit Europa. Wo schon teilweise nicht mehr über Milliarden- sondern über Billionenbeträge geredet werde.
Deswegen war Günther Oettinger genau der Richtige, Licht in die Verworrenheit zu bringen: auch dadurch, dass er die aktuelle Krise in den großen Entwurf Europa stellte. Als Baden-Württemberger, der er auch in seiner Funktion in Brüssel geblieben ist. Er nahm die Besucher seiner so bewegenden Tour durch Europa mit nach Reims in die Kathedrale, in der de Gaulle und Adenauer die Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland besiegelten.
Das große Ganze. Nie mehr Krieg in Europa.
Unsere Grundwerte nach Europa exportieren, in die Welt. Die Welt, die sich immer mehr verändert. Selten wird dem Normalbürger so klar, wie es an diesem Abend deutlich geworden ist, wie die Verhältnisse in der Welt sich verändert. Ende dieses Jahrhunderts werden noch fünf Prozent der Weltbevölkerung in Europa leben, vor hundert Jahren waren es zwanzig.
Günther Oettinger, kurz, knapp und treffend: „Ohne Europa wären wir nichts.“
Und für nicht wenige die fast schon schockierende Überraschung: „Deutschland liegt im Mittelfeld. Der Fußballfan zieht den Vergleich: „Wir sind Hoffenheim und schauen auf den HSV hinunter.“ Andere aber sind besser als wir. Estland, Finnland, Niederlande, Luxemburg …“ Mahnte zu „etwas mehr Zurückhaltung“, denn: „Unsere Demografie ist die schlechteste, zu viele Schulden, zu wenig Steuerzahlen. In zehn bis fünfzehn Jahren sind wir auf der schiefen Ebene.“
So gilt es, wenn wir dabei sein wollen in der Welt, unsere Grundüberzeugungen, unsere Grundwerte exportieren wollen, „Europa als untere Betriebsgröße.“ Oder wir sind nicht dabei.
Die überzeugend vorgetragene Botschaft eines überzeugenden Europäers, der, wenn er in China in einem Büro die dort hängende Weltkarte anschaut, den Blick seiner Gastgeber sieht: China in der Mitte, („das Reich der Mitte“), Europa „links oben in der Ecke, da wo auf unserer Karte Alaska ist.“ Das Bild prägt sich ein, lässt erkennen, dass Günther Oettinger mit seinem Ansatz recht hat, wenn er formuliert: „Wenn wir mit dabei sein wollen, müssen wir dies jetzt tun.“
Wir reden über G 7, G8 oder G 20. Es gehe aber um G 2 als die führenden Länder, nämlich USA und China oder G 3, wenn Europa dabei ist: „Wenn G 3 später kommen sollte, sind längst schon andere da, Brasilien, Indien, zum Beispiel.“ Und Europa ist nicht dabei.
Auf der Grundlage dieser faszinierend vorgetragenen Gesamtschau zeigte seine Darstellung der aktuellen Krise noch klarer die Dramatik dieser Wochen und Monate, aber auch, dass Europa diese Situation als Chance begreifen muss, dass die Rettung des Euro („Wir haben mit dem Euro eine zweite Weltwährung aufgebaut“) gelingen muss – und wird. Und dass für Baden-Württemberg als das Exportland in Deutschland dies von ganz großer Bedeutung ist.
Der frühere Ministerpräsident: „Als Baden-Württemberg wären wir die bessere Schweiz. Aber die Schweiz ist machtlos in der Welt. Und der Franken ist zur Fluchtwährung geworden.“
Dass die Veranstaltung zum „Bürgerdialog Europa“ – so der Titel dieser neuen Reihe – lag auch an den guten Beiträgen aus dem Publikum, mit kurzen, treffenden Fragen und den wichtigen Ergänzungen und Antworten dazu von Günther Oettinger. So wenn er auf die besorgte Frage von Hugo Bronner nach der Verschuldung der USA, die Sorge teilt, aber darauf hinwies, dass die US-Amerikaner ein starkes Bevölkerungswachstum zu verzeichnen haben. Er hofft darauf, dass die USA nach der durch die Präsidentenwahl bedingte derzeitige Blockade danach wieder eine kräftige Politik betreiben werden. Und lenkte den Blick nach Japan: Die Japaner haben eine zweieinhalb Mal so hohe Verschuldung wie Europa, aber die Verschuldung als Insellösung. „Wir haben das Geld von den Scheichs, von überall her in der Welt. Und die Chinesen übernehmen uns, nach und nach. Doch sie sind nicht die Caritas.“
Es war kein Zufall, dass nach dem Ende der Veranstaltung viele noch blieben, in kleinen Gruppen diskutierten. Man konnte nach dieser besonderen Kost einfach nicht so hinausgehen in den kalten Abend. Während Günther Oettinger ganz locker und entspannt bei Vanessa
Darwisch ein Bier für sich und eine Cola für seinen Sohn, der ihn begleitete, holte. In dem Kontext: Die Junge Union leistete unter der Führung des Kreisvorsitzenden Johannes Blepp gute Arbeit, versorgte die Gäste mit Getränken und belegten Brötchen.
War’s das? Nein, die hohe Qualität dieser Veranstaltung, wird nochmals beleuchtet, mit den Persönlichkeiten, die ebenfalls zum Gelingen beitrugen. Und die jede für sich sehr viel zum Thema zu sagen hat.
Da war – wie erwähnt – Landesvorsitzender Thomas Strobl, der bei seinen grundsätzlichen Ausführungen die innere Identität Europas hervorhob, Europa als Kulturraum, das Zitat von Papst Benedikt XVI. aus seiner Rede im Deutschen Bundestag, wo er den Bezug Jerusalem, Athen und Rom eindrücklich beschrieb.
Da war der Europaabgeordnete Dr. Andreas Schwab, der für den Bezirksfachausschuss Europa ein Papier mit sieben Eckpunkten für eine konstruktive und konsequente Lösung aus der Staatsverschuldungskrise in Europa vorgelegt hatte und erläuterte.
Und da war Gunter Krichbaum, der Ausschussvorsitzende für die Angelegenheiten der Europäischen Union im Deutschen Bundestag, der klipp und klar erklärte: „Griechenland ist pleite.“ Aber genau so aus Überzeugung hinzufügte: „Wir dürfen den Kopf nicht in den Sand stecken.“ Der Bankrott wäre fatal. Deswegen: Griechenland retten, eine EU-rechtliche Aufsicht installieren. Und den ESM nicht erst 2013 zu installieren, sondern vorziehen.
Und da war dann noch Bezirksvorsitzender Andreas Jung, der souverän und überzeugend die Moderation übernommen hatte. Und Stefan Teufel als gastgebender Kreisvorsitzender. Er überreichte Günther Oettinger eine Flasche Trollinger, „für Dein nächstes Gespräch mit der Industrie.“
Ganz und gar beschenkt wurden an diesem Abend all die, die diesen Bürgerdialog Europa miterlebt haben. Und die im kleinen Kreis erst noch einmal darüber reden mussten, was sie an unglaublich vielen Informationen sie – authentisch und zutiefst beeindruckend – erhalten hatten.
Bericht und Fotos: Robert King